Politische Bildungsprojekte mit Jugendlichen in der JVA Laufen-Lebenau
Mitreden statt nur zuhören! Die VHS Rupertiwinkel bringt politische Bildung in die JVA Laufen-Lebenau. Gemeinsam mit der Jugendpflege des Landkreises und unterstützt vom Deutschen Volkshochschul-Verband.
Themen, die zählen. Mitbestimmung, Gerechtigkeit, Zukunft.
Die Projekte
- Wir sind hier
- Jugendliche lernen Demokratie
- „Freiheit“ hinter Gittern – Junge Stimmen für Demokratie und Mitbestimmung
- „Kriminalität verstehen, Demokratie erleben“ JVA-Workshop
- Demokratie im Strafvollzug
Ziel ist es, jungen Männern demokratische Werte und gesellschaftliche Teilhabe nahezubringen, gerade in einem Umfeld, in dem Perspektiven oft fehlen. Die Workshops vermitteln grundlegendes Wissen über Demokratie, Menschenrechte und politische Mitbestimmung. Die Teilnehmenden bestimmen ihre Themen selbst, von Klimawandel und Rassismus über Drogenpolitik bis hin zu Armut und sozialer Ungleichheit. Sie lernen ihre Meinungen zu formulieren, fair zu debattieren und Verantwortung zu übernehmen. Ergänzt werden die Kurse durch kreative Ausdrucksformen wie Plakatkunst, Fotoprojekte oder Graffiti-Arbeiten, in denen die Jugendlichen ihre Botschaften sichtbar machen.
Wir sind hier
„Wir sind hier“ ist ein Angebot für junge Menschen. Es wird über gesellschaftliche Problem diskutiert. Welche Themen es sind, entscheiden die Teilnehmenden gemeinsam mit dem Kursleiter. Sie entwickeln kreative Ideen, wie sie zu demokratischen Lösungen des Probelms beitragen können. Die Kurse finden in der JVA Laufen/Lebenau statt. Die Teilnahme wird innerhalb der Strafvollzugsanstalt mittels Flyer ausgeschrieben. Die Teilnahme ist also immer freiwillig.
Gemeinsam mit ihrem Kursleiter tauschen sich die Jugendlichen erst darüber aus, welche Handlungsbedarfe es ihrer Meinung nach in ihrer (künftigen) Lebenswelt, also außerhalb des Strafvollzug gibt. Sie entwickeln gemeinsam ein Zukunftsbild. Sie lernen Missstände zu benennen, aber auch positive Szenarien zu entwickeln. Um ihre Anliegen für andere verständlich machen zu können, lernen sie zu recherchieren, Informationen zu bewerten und Anliegen zu veranschaulichen. An sechs Tagen können sich die Teilnehmenden nicht nur in der Theorie Wissen aneignen, sondern in der geschützten Umgebung eines Workshops ausprobieren, wie die praktische Umsetzung Ihres Lösungsansatzes aussehen könnte. Mit Hilfe kreativer Methoden werden Formate entwickelt, die demokratisch, friedlich und zielgerichtet sind. Im Frühjahr 2023 entscheiden sich die Teilnehmenden des Workshops das Thema Rassismus als Schwerpunkt zu wählen. Die jungen Männer erarbeiten gemeinsam ihre Haltung zum Thema Rassismus. Sie machen gemeinsam deutlich: NO RACISM. Im Herbst 2022 entscheidet sich eine Gruppe junger Männer für das Thema Klimawandel. Sie gründen eine fiktive Protestgruppe. Im Bild ist ein Banner zu sehen, dass die Gruppe entworfen hat. Sie appellieren eindrücklich an die Menschen ihr Verhalten zu ändern.

„Wir sind hier“: Jugendliche in der Lebenau üben bei politischem Bildungs-Workshop fiktiven Protest
Ein brennender Feuerball in Gestalt der Erde rauscht im linken Winkel zu Boden, auf der rechten Seite des großformatigen Plakats scheint das Grab schon geschaufelt. Der symbolische Grabstein trägt die Inschrift: „Ruhe in Frieden, Klima“. Inmitten ist ein eindringlicher Appell zu lesen: „Wir schaufeln unser eigenes Grab.“ Der Klimawandel beschäftigt Jugendliche auch hinter Gefängnismauern. Diese Tatsache und der hohe Grad an Reflexion von acht in der JVA Laufen/Lebenau inhaftierten Jugendlichen hat die Kooperationspartner eines politischen Projekts zuletzt positiv überrascht.

„Wir sind hier“ wird von der Volkshochschule Rupertiwinkel in Kooperation mit der Kommunalen Jugendpflege des Landratsamtes Berchtesgadener Land und der JVA Laufen/Lebenau durchgeführt und als Projekt vom Deutschen Volkshochschul-Verband aus Mitteln Kinder- und Jugendplans des Bundes (KJP) vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert.

So ist „Wir sind hier“ entstanden
Der Workshop mit dem Titel „Wir sind hier – Protest als demokratische Beteiligung“ entstand unter Leitung der Volkshochschule Rupertiwinkel in Kooperation mit der Kommunalen Jugendpflege des Landratsamtes Berchtesgadener Land und war ein Pilotprojekt. Durchgeführt wurden die insgesamt sechs Workshops im Oktober und November 2022. Die acht Teilnehmer hatten sich auf eine Ausschreibung hin freiwillig zu dem Kurs gemeldet.
Kreativer, demokratischer Protest
Für die theoretische und pädagogische Ausgestaltung und die praktische Durchführung vor Ort war Andreas Lindner, Sozialpädagoge B.A., als Kursleiter verantwortlich. An sechs Samstagen lernten die jungen Menschen, ein von ihnen selbst gewähltes gesellschaftliches Problem zu diskutieren und Ideen zu entwickeln. Wie kreativer, demokratischer Protest zum Finden von friedlichen und zielgerichteten Lösungen beitragen kann, war ebenso Thema wie die Erarbeitung von elementarem Handwerkzeug für die Beteiligung als mündige Bürger in einer demokratischen Gesellschaft. Die Kommunale Jugendpflegerin Tanja Kosmaier hatte die Idee, ein Projekt in der Justizvollzugsanstalt zu starten. Die Ergebnisse bestätigen ihr Vertrauen in die Jugendlichen. Demokratisch und mit Sinn für die größeren Zusammenhänge formulierten die Jugendlichen sehr eindringlich das, was sie für eine Notwendigkeit halten: umzudenken und klimagerecht zu handeln.
Sechs Workshops
Die Themen der sechs Workshops bauten pädagogisch sinnvoll aufeinander auf: Lernten die Jugendlichen zu Beginn, ihr Anliegen zu formulieren und Problemlagen zu identifizieren, wurden sie danach zu Experten des eigenen Anliegens, indem sie Methoden lernten, wie sie ihre Interessen authentisch vertreten können. Um Kommunikation im öffentlichen Raum und mit einem persönlichen Gegenüber ging es im dritten Workshop. Wertesysteme, Engagement und Moralvorstellungen, aber auch die UN-Menschenrechtskonvention standen danach im Mittelpunkt. So vorbereitet, war die Gruppe ausgerüstet mit den notwendigen Kompetenzen dafür, wie man sich in der Gesellschaft einmischt und einbringt. Rückblick und Einordnung des bis dahin Vermittelten und Geübten schlossen dieses Pilotprojekt ab. Amtsleiter Florian Zecha überlegt mit seinem pädagogischen Team, den Jugendlichen Möglichkeiten innerhalb der Einrichtung zu eröffnen, um sich mehr im Bereich Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu engagieren. Weitere Bildungs-Workshops in der JVA sind geplant. Die Leiterin der Vhs Rupertiwinkel, Dr. Helga Huber, ist überzeugt: „Bildung funktioniert am besten, wenn man sich auf Augenhöhe begegnet. Kursleiter Andreas Lindner hat die Jugendlichen ernst genommen, sich Zeit genommen, ihre Sichtweisen anzuhören und mit ihnen gemeinsam gearbeitet.“ Herausgekommen seien dabei Forderungen nach Änderungen auf struktureller Ebene, aber auch ein Appell, die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu überdenken. „Wir sollten die Jugendlichen, die sich für Klimaschutz engagieren, ernst nehmen. Innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern“, sagte Huber.
Jugendliche lernen Demokratie
Die Volkshochschule Rupertiwinkel hat in Kooperation mit der Kommunalen Jugendarbeit des Landkreises im April und Mai 2024 zum vierten Mal einen erfolgreichen Bildungsworkshop für jugendliche Insassen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Laufen-Lebenau durchgeführt. Acht Jugendliche im Alter von 16 bis 18 Jahren nahmen an dem Workshop teil, der an drei Wochenenden über insgesamt sieben Kurstage hinweg stattfand.
Der Workshop begann mit einer Einführung in die Grund- und Menschenrechte. Die jungen Teilnehmer erhielten umfassende Informationen über ihre eigenen Rechte sowie die universellen Menschenrechte, was eine solide Basis für die weiteren Themen bildete. Nach diesem ersten Teil hatten die Jugendlichen die Möglichkeit, selbst Vorschläge einzubringen, mit welchen politischen Themen sich der Workshop in den folgenden Wochenenden vertieft beschäftigen sollte. In einer fairen und geheimen Wahl entschieden sie sich für das Thema „Armut und Reichtum“.
In den darauffolgenden Wochenenden setzten sich die Teilnehmer intensiv mit den Ursachen und Auswirkungen sozialer Ungleichheit auseinander. Sie diskutierten lebhaft über die verschiedenen Aspekte dieses komplexen Politikfeldes und entwickelten ein tiefes Verständnis für die damit verbundenen Herausforderungen. Einer der Teilnehmer bemerkte: „Es ist sehr wichtig selbst zu verstehen warum es Armut und Reichtum gibt, wie die unfaire Verteilung entsteht und welche Folgen das für die Leute hat.“ Die Methodik des Kurses bot ihnen nicht nur wertvolle Informationen, sondern auch die Gelegenheit, eigene Meinungen zu äußern und gemeinsam zu reflektieren.

Ein weiterer wichtiger Punkt waren die Infos zur Europawahl. Die Jugendlichen erhielten Einblicke in die Struktur der Europäischen Union, die zur Wahl stehenden Parteien und die aktuellen Themen der Europapolitik. Mithilfe des Wahlomats konnten sie sich etwas besser für ihre EU-Wahl orientieren.
Den krönenden Abschluss des Workshops bildete ein kreatives Kunstprojekt zum Thema „Armut und Reichtum“. Unter professioneller Begleitung durch das internationale Künstler-Duo Jana und Jean-Sébastian Philippe gestalteten die Jugendlichen ein beeindruckendes Graffitikunstwerk, das ihre Gedanken und Gefühle zur sozialen Gerechtigkeit ausdrückt. Das fertige Werk wird zukünftig im Eingangsbereich der JVA ausgestellt.
„Ich bin sehr stolz darauf, diesen wichtigen Workshop erneut durchgeführt zu haben,“ sagte Andreas Lindner, Sozialpädagoge B.A. „Er bietet den Jugendlichen nicht nur eine wertvolle Bildungserfahrung, sondern auch die Möglichkeit, aktiv an gesellschaftlichen Diskursen teilzunehmen und ihre eigenen Standpunkte zu wichtigen politischen Themen zu entwickeln.“
Der Bildungsworkshop der VHS Rupertiwinkel und der Kommunalen Jugendpflege zeigt eindrucksvoll, wie wichtig und erfolgreich politische Bildung im Strafvollzug sein kann. Durch die intensive Auseinandersetzung mit demokratischen Werten und den selbstbestimmten politischen Themen erhalten die jungen Insassen nicht nur Wissen, sondern auch die Möglichkeit, ihre persönlichen Perspektiven zu erweitern und aktiv an gesellschaftlichen Diskussionen teilzunehmen.
Das kreative Kunstprojekt ermöglicht ihnen zudem stückweit eine Art politischer Teilhabe, da sie ihrem gewählten Thema Ausdruck verleihen und in Zukunft allen Besuchern und Mitarbeitern der JVA präsentieren können.
Pressemitteilung von Andreas Lindner
„FREIHEIT“ hinter Gittern – Junge Stimmen für Demokratie und Mitbestimmung
Bereits zum sechsten Mal organisiert die VHS Rupertiwinkel gemeinsam mit der kommunalen Jugendpflege des Landratsamtes Berchtesgadener Land einen Bildungsworkshop in Justizvollzugsanstalt Laufen Lebenau.
In einer Zeit, in der antidemokratische Stimmen lauter werden, Kriege und Krisen weltweit zunehmen und der gesellschaftliche Zusammenhalt auf dem Prüfstand steht, zeigt ein besonderes Projekt in der JVA Laufen-Lebenau, was politische Bildung wirklich bewirken kann: Verstehen, Mitreden, Verantwortung übernehmen – auch dort, wo junge Menschen mit schwieriger Vergangenheit neue Wege suchen.
Zum sechsten Mal fand unter der Leitung des Sozialarbeiters Andreas Lindner ein mehrtägiger Demokratie-Workshop mit jungen Inhaftierten statt. Acht Jugendliche nahmen erfolgreich teil – acht individuelle Geschichten, Haltungen und Hoffnungen, die sich in einem einzigen Wort bündeln: FREIHEIT.
Auf dem Foto halten sie die Buchstaben dieses Wortes hoch – ein starkes Symbol, das während des Workshops mit Inhalt gefüllt wurde.

Demokratie als Weg aus der Sprachlosigkeit
„Ich wusste vorher nicht, was Politik überhaupt ist“, gesteht einer der Teilnehmer mit dem Buchstaben E, „jetzt weiß ich, dass sie unser Leben jeden Tag beeinflusst.“ Genau darum ging es: Politik verständlich und greifbar machen. Was bedeutet Demokratie? Was hat das mit mir zu tun? Welche Rechte habe ich – und welche Verantwortung?
„Demokratie ist, wenn man mitentscheiden kann. Das ist besser als irgendwo, wo einfach jemand bestimmt – wie z.B. in Afghanistan“, sagt der junge Mann mit dem Buchstaben T. Für ihn ist klar: Wählen zu dürfen ist nicht nur ein Recht, sondern eine Chance.
Auch der Teilnehmer mit dem Buchstaben R betont, dass Selbstbestimmung ein zentraler Wert sei. Demokratie sei wichtig, sagt er, weil sie „entscheidet, wie Menschen leben“. Worte, die zeigen, wie stark das politische Bewusstsein während des Kurses gewachsen ist.
Freiheit – zwischen Wunsch und Erfahrung
Freiheit – ein großes Wort, das für jeden etwas anderes bedeutet. Für den Jugendlichen mit dem Buchstaben F heißt es: „Dass man selbst entscheiden kann, was richtig oder falsch ist.“ Für den Teilnehmer mit dem zweiten I bedeutet es, „nicht nur körperlich, sondern auch im Kopf frei zu sein“.
Manche assoziieren Freiheit direkt mit ihrer aktuellen Situation: „Freiheit ist, wenn man aus dem Knast rauskommt und sein Leben in den Griff bekommt“, sagt der Träger des Buchstaben T. Ausbildung machen, Geld verdienen, Verantwortung übernehmen – ein Neuanfang.
Die Gespräche über Freiheit führten automatisch zu Fragen nach Menschenrechten, Gerechtigkeit, aber auch nach Schuld, Veränderung und Zukunft. Für viele war es das erste Mal, dass sie sich mit solchen Fragen bewusst auseinandergesetzt haben.
Drogenpolitik – ein selbstgewähltes Schwerpunktthema
Im zweiten Teil des Workshops entschieden die Jugendlichen demokratisch über ein Vertiefungsthema: Die Wahl fiel auf Drogenpolitik. „Weil es uns alle betrifft“, wie der Jugendliche mit dem I sagt.
Viele hätten eigene Erfahrungen mit Drogen gemacht oder im Umfeld erlebt, wie Drogen Leben zerstören. Deshalb wollten sie verstehen: Wie sieht Drogenpolitik in anderen Ländern aus? Was bringt Entkriminalisierung? Wie funktioniert Prävention?
„Wir haben über andere Länder geredet, über Regeln und wie man besser damit umgehen kann“, berichtet der Teilnehmer mit dem Buchstaben H. Es ging nicht darum, einfache Antworten zu finden, sondern um Differenzierung, Information und Perspektiven.
Erkenntnisse, Verantwortung und Hoffnung
Was bleibt, ist mehr als nur Wissen: Es sind neue Blickwinkel. „Ich weiß jetzt, dass jeder Mensch Rechte hat – und dass die nicht einfach so da sind, sondern erkämpft wurden“, sagt der Jugendliche mit dem ersten E.
Viele nehmen auch eine klare Botschaft für ihr weiteres Leben mit. Der Teilnehmer mit dem zweiten E will nach der Entlassung „nicht wieder zurück ins Alte“.
Fast alle möchten auch anderen jungen Menschen etwas mitgeben. Der Träger des Buchstabens I (Interview 6) sagt es direkt: „Nicht auf Kriminelles reinfallen. Besser früh einen anderen Weg suchen.“
Kunst als Ausdruck – Freiheit in Bildern
Neben den Diskussionen und Übungen zur Demokratiearbeit wurde auch kreativ gearbeitet: Die Jugendlichen gestalteten nicht nur die Plakate mit dem Wort FREIHEIT, sondern setzten sich auch fotografisch mit ihrer Lebensrealität auseinander. Die künstlerischen Aufnahmen – Nahaufnahmen von Händen, symbolische Stillleben – erzählen vom Eingesperrt Sein, vom Wunsch nach Verbindung, und vom Streben nach Veränderung.
Aus diesen Werken soll im Sommer 2025 eine Wanderausstellung entstehen. Geplant ist, die selbstgestalteten Plakate gemeinsam mit großformatigen Foto-Prints und ausgewählten Zitaten aus den Interviews öffentlich zu zeigen – als bewegende Einblicke in die Gedankenwelt junger Inhaftierter.
Langfristig könnte die Ausstellung auch im Eingangs- oder Besucherbereich der JVA Laufen-Lebenau einen dauerhaften Platz finden – ein starkes Zeichen für Dialog, Teilhabe und neue Perspektiven.
Nächster Workshop im Herbst 2025 geplant
Der nächste Demokratie-Workshop ist bereits in Planung: Im Herbst dieses Jahres sollen wieder junge Männer in der JVA Laufen-Lebenau die Möglichkeit bekommen, sich mit den Grundlagen demokratischen Zusammenlebens zu beschäftigen – und mit der eigenen Rolle in der Gesellschaft.
Das Projekt zeigt: Demokratiebildung kann auch unter schwierigen Bedingungen Wurzeln schlagen – und Hoffnung wecken.
Autor und Kursleitung:
Andreas Lindner (Sozialpädagoge B.A.)
Kooperation und Konzept:
VHS Rupertiwinkel und die kommunale Jugendpflege des Landratsamtes Berchtesgadener Land
„Kriminalität verstehen, Demokratie erleben“ JVA-Workshop
Wiederholter Erfolg des Workshop-Projekts „Wir sind hier!“ – Politische Bildung für junge Menschen im Strafvollzug
Laufen – Vom 15. November bis zum 1. Dezember 2024 fand in der Justizvollzugsanstalt Laufen/Lebenau wieder ein politischer Bildungsworkshop mit dem Titel „Wir sind hier!“ statt. Dabei hatten acht junge Menschen die Gelegenheit, an insgesamt sieben Kurstagen demokratische Werte und Methoden praktisch zu erleben und zu erlernen.
Das Ziel des Workshops war es, den Jugendlichen Politik nahezubringen und sie mit demokratischen Prinzipien vertraut zu machen. Durch Methoden wie Selbstbestimmung, Meinungsbildung, geheime Wahlen, faire Debatten und das Akzeptieren anderer Meinungen sollten nicht nur Wissen, sondern auch Werte vermittelt werden.
Am Anfang ging es um unterschiedliche Wert- und Moralvorstellungen und deren geschichtliche Entwicklung bis heute. Anschließend hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, in einem geheimen Wahlverfahren ein gesellschaftlich relevantes Thema auszuwählen, das sie in den folgenden Kurstagen dann vertieften. Die Wahl fiel auf das Thema „Kriminalität in der Gesellschaft und ihre politischen Konsequenzen“.
„Kriminalität verstehen, Demokratie erleben“

Ein besonderes Highlight des Workshops war eine politische Debatte zum Thema „Todesstrafe für Schwerstverbrecher?“. Die Jugendlichen wurden in Pro- und Kontra-Gruppen aufgeteilt und konnten ihre Argumente wie in einem Debattierclub vorbereiten. Die Diskussion war spannend und förderte nicht nur die Argumentationsfähigkeit sondern auch die kritische Auseinandersetzung mit Menschenrechten und Kriminalstatistiken.
Das abschließende Ergebnis ist das Interview-Projekt, das die Gruppe selbst initiierte. Sie führten Interviews mit allen Teilnehmenden durch, um das Thema Kriminalität aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Dabei entstanden tiefgründige und bewegende Aussagen
Hier das Interview zum Nachlesen:
Frage 1: Was bedeutet für dich Kriminalität und wie hast du dieses Thema selbst erlebt?
Teilnehmer 1: „Kriminalität ist für mich alles, was gegen Gesetze verstößt, egal ob Mord oder kleiner Diebstahl. Ich habe es selbst vor allem hier in der JVA beobachtet.“
Teilnehmer 4: „Kriminalität sind Handlungen, die gegen das Strafgesetzbuch verstoßen. Ich habe sie selbst erlebt und auch in meiner Familie beobachtet.“
Frage 2: Warum werden Menschen kriminell? Was ist aus deiner Sicht die größte Ursache?
Teilnehmer 3: „Oft sind es Armut oder der Wunsch nach einem Adrenalinkick. Manchmal ist es auch der Einfluss von Freunden.“
Teilnehmer 8: „Armut, Vernachlässigung, schlechte Vorbilder und soziale Brennpunkte sind zentrale Ursachen. Für mich ist Armut der wichtigste Grund.“
Frage 3: Welche Folgen hat Kriminalität für die Gesellschaft und die Wirtschaft?
Teilnehmer 1: „Kriminalität kostet die Gesellschaft enorm viel Geld, zum Beispiel für Polizei und Justiz. Sie verursacht auch Angst und Unsicherheit.“
Teilnehmer 7: „Es gibt direkte Schäden, wie zerstörte Scheiben oder Einbrüche, aber auch langfristige Folgen, wie das Vertrauen, das Menschen in ihre Nachbarn verlieren.“
Frage 4: Was denkst du, sollte die Politik tun, um Kriminalität besser zu bekämpfen?
Teilnehmer 5 : „Mehr Jugendzentren und Angebote für Jugendliche in Brennpunkten wären sinnvoll. Das hilft, dumme Gedanken zu vermeiden.“
Teilnehmer 8: „Mehr Resozialisierung statt Strafen. Im Knast ist man nur von Kriminellen umgeben, das führt oft zu noch mehr Problemen.
Frage 5: Wie hat dir der Workshop geholfen, deine Sicht auf das Thema zu verändern?
Teilnehmer 6: „Früher habe ich mich nicht für Politik interessiert. Jetzt sehe ich, wie stark sie unser Leben beeinflusst. Selbst Kriminalität ist oft mit Politik verbunden.“
Teilnehmer 4: „Ich habe gelernt, die Folgen von Kriminalität aus der Perspektive anderer Menschen zu sehen.“
Frage 6: Welche Botschaft würdest du anderen jungen Menschen geben, die in schwierigen Situationen sind?
Teilnehmer 8: „Baut keinen Mist. Redet mit vertrauten Personen über Probleme. Mit Kriminalität kommt man nicht weit.“
Teilnehmer 5: „Hört auf eure Mütter.“
Frage 7: Wo siehst du dich in fünf oder zehn Jahren? Was möchtest du an dir oder der Gesellschaft verändern?
Teilnehmer 6: „Ich möchte nach Dubai ziehen, dort leben und arbeiten. Außerdem möchte ich die beste Version von mir selbst werden.“
Teilnehmer 8: „Ich will eine Ausbildung als Koch machen und meine Familie stolz machen. Mein Ziel ist es, ein legales Leben zu führen.“
Feedback
Die Rückmeldungen der Jugendlichen waren durchweg positiv.
Im anonymen Feedback wünschten sich mehr als die Hälfte der Teilnehmer, dass der Workshop länger dauern sollte und noch mehr gesellschaftliche Themen behandelt werden. Ihre Motivation und zuverlässige Teilnahme an allen Kurstagen trotz Freiwilligkeit, zeigten deutlich, wie sehr sie von diesem
Bildungsangebot profitierten.
Planung
Aufgrund des wiederholten Erfolgs des Projekts plant die Volkshochschule Rupertiwinkel in Zusammenarbeit der Kommunalen Jugendpflege des Landratsamtes Berchtesgadener Land für das Jahr 2025 wieder zwei Workshops dieser Art in und der JVA Laufen/Lebenau Der Workshop „Wir sind hier!“ hat gezeigt, wie politische Bildung jungen Menschen helfen kann, sich ihrer Rolle in der Gesellschaft bewusst zu werden und demokratische Werte zu
verinnerlichen. Dieses Projekt ist ein Beispiel dafür, wie Bildung Brücken bauen und Perspektiven verändern kann.
Text in Anlehnung an die Pressemitteilung zum VHS-Workshop „Wir sind hier – Demokratische Teilhabe“ In der JVA Laufen Lebenau im November/Dezember 2024
Verfasst: Andreas Lindner – 08.12.2024
Demokratie im Strafvollzug
LAUFEN / BGL – Bereits zum dritten Mal fand das Projekt „Wir sind hier – demokratische Teilhabe“ in der Justizvollzugsanstalt Laufen/Lebenau statt. Der Kurs vermittelt Grundlagen über Demokratie und Menschenrechte, bietet Gelegenheit, die eigenen Interessen selbstbestimmt einzubringen und praktische demokratische Verfahren kennenzulernen.
Am Bildungsprojekt der Volkshochschule Rupertiwinkel in Kooperation mit der Kommunalen Jugendpflege BGL nahmen acht junge inhaftierte Menschen teil. An fünf vollen Wochenendtagen wurde gelernt, diskutiert und kreativ gearbeitet.
Als Grundlage wird sich im ersten Teil dem heutigen Demokratie Verständnis angenähert. Unter der Moderation von Sozialarbeiter A. Lindner arbeitete sich die Gruppe von den eigenen Grundwerten und Moralvorstellungen zu unserem geltenden Grundgesetz und darüber hinaus zu den Menschenrechten der Vereinten Nationen vor.
Ein Schlüsselelement des Workshops war dann im zweiten Teil die Möglichkeit für die jungen Menschen, Schwerpunktthemen aus den eigenen Interessen herauszuarbeiten und in einem demokratischen Verfahren auszuwählen. Die Entscheidung der Gruppe fiel auf die hochaktuellen Themen Drogenpolitik und Polizeigewalt.
Aufgrund der aktuellen bundespolitischen Entwicklungen in der Drogenpolitik ist diese natürlich nicht zuletzt auch im Strafvollzug ein Thema. Die Teilnehmer zeigen dabei großes Interesse die Entwicklungen kontrovers zu hinterfragen. Das Thema wurde abschließend mit einer vorbereiteten Gruppendebatte über die Vor- und Nachteile einer Drogenlegalisierung behandelt.
Die Thematik Polizeigewalt war aufgrund von eigenen Erfahrungen, sowie internationaler Ereignisse wie dem Fall von George Floyd (2020) für die Gruppe von Interesse. Hierbei wurde den Teilnehmern der Grundsatz der Gewaltenteilung und der Kotrollfunktion durch freie Medien vermittelt. Die Diskussionen der Gruppe zu dem Thema waren intensiv und reflektierten das Bedürfnis der Teilnehmer die Machtstrukturen in einer Demokratie verstehen zu wollen.

Der Workshop endete mit einer kreativen Aktion der demokratischen Mitbestimmung. Die Teilnehmer beteiligten sich am „Briefmarathon – Write for Rights“ von Amnesty International, wobei sie sich mit einem Fall von Polizeigewalt in Brasilien auseinandersetzten. Die Aktion beinhaltete das Malen eines Solidaritätsplakats (siehe Foto), das Unterzeichnen eines Appellbriefes an die brasilianische Politik und das Verfassen eines persönlichen Briefes
an die Hinterbliebene Mutter des Betroffenen.
Die besondere Bedeutung dieser Aktion liegt in der Sensibilisierung für Polizeigewalt in Ländern mit schwächeren demokratischen Strukturen als in Deutschland. Der Workshop betonte nicht nur politische Bildung, sondern auch die Möglichkeit für inhaftierte Jugendliche, aktiv an gesellschaftlichen Diskursen teilzunehmen. Insgesamt verdeutlichte der Workshop „Wir sind hier – demokratische Teilhabe“ die Bedeutung von politischer Bildung als Werkzeug für persönliche Entwicklung und gesellschaftlichen Wandel.
Pressemitteilung zum VHS-Workshop „Wir sind hier – Demokratische Teilhabe“ In der JVA Laufen Lebenau im November 2023
